Aktuelle Beiträge

BGH GRUR 2015, 660 "Verfahren und System zur Anzeige eines Bildstroms - Bildstrom"

Anweisungen, die zwar die (visuelle) Informationswiedergabe betreffen, bei denen aber nicht die Vermittlung bestimmter Inhalte oder deren Vermittlung in besonderer Aufmachung im Blickpunkt steht, sondern die Präsentation von Bildinhalten in einer Weise, die auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Aufnahme von Informationen Rücksicht nimmt und darauf gerichtet ist, die Wahrnehmung der gezeigten Informationen durch den Menschen in bestimmter Weise überhaupt erst zu ermöglichen, zu verbessern oder zweckmäßig zu gestalten, dienen der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln (Weiterführung von BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen, und BGH GRUR 2013, 909 – Fahrzeugnavigationssystem).
 

Die somit zulässigen nebengeordneten Patentansprüche 1 und 7 lauten in der Verfahrenssprache:

  • „1.A method for displaying an image stream, the method comprising:

    receiving images acquired by a swallowable capsule (40), the images forming an original image stream; and displaying simultaneously on a monitor (300) at least two subset image streams, each subset image stream including a separate subset of images from the original image stream.

  • 7.A system for displaying an image stream, the system comprising:

    an image storage means (21) for accepting an original image stream; and an image display means (300) for displaying at least two subset image streams, each subset image stream including a separate subset of images from the original image stream, characterized that the at least two subset image streams can be displayed on the image display means (300) simultaneously“.

BGH GRUR 2015, 573 "Entrinnbare Falle - keine Stützung der Patentfähigkeit durch nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal - Wundbehandlungsvorrichtung"

Ein mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteiltes europäisches Patent ist nicht deshalb für nichtig zu erklären, weil der Patentanspruch ein Merkmal enthält, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, sofern dieses Merkmal zu einer Beschränkung des Schutzgegenstands und nicht zu einem Aliud führt. Bei der Prüfung der Patentfähigkeit ist das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal insoweit außer Betracht zu lassen, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (Fortführung von BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 18 ff. – Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 ff. – Integrationselement).
 
Anders hierzu das EPA nach G01/93 (sog. „unentrinnbare Falle“): enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung ein Merkmal, das entgegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ mit einer unzulässigen Erweiterung patentiert wurde, so kann dies wegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ im nachfolgenden Einspruchsverfahren nicht wieder durch Streichung dieses Merkmals geheilt werden, wenn dies mit einer Erweiterung des Schutzbereichs verbunden ist. Im Ergebnis droht der Widerruf des gesamten Patents.
 
Nach gegenteiliger Auffassung des BGH gebiete das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) nationalen deutschen Gerichten hingegen keine vollständige Vernichtung des deutschen Teils eines europäischen Patents, wenn einem Nichtigkeitsgrund auch durch Teilvernichtung Rechnung getragen werden kann. Hingegen gebiete es die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14 GG), Eingriffe in den Bestand des Schutzrechts auf das erforderliche Maß zu beschränken. Dem werde die bisherige Praxis zu deutschen Patenten besser gerecht, so dass sie auch auf den deutschen Teil europäischer Patente zu erstrecken sei.
 
Die deutsche Praxis hat der BGH zuletzt in seiner o.g. Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“  klargestellt. Demnach kann ein unzulässig erweiterndes Merkmal sogar im Patentanspruch verbleiben, wenn es zur Einschränkung des Patentanspruchs führt und nicht auf ein Aliud gerichtet ist. Es bedarf nicht einmal mehr der Aufnahme eines Hinweises in die Patentschrift, dass aus der Einfügung des unzulässig erweiternden Merkmals keine Rechte hergeleitet werden können. Letztere sog. frühere „Fußnoten-Lösung“ hatte sich bis dahin mit der Entscheidung  des Bundespatengerichts „ Flanschverbindung“ (BPatG Entscheidung v. 28.06.1988 – 12 W (pat) 6/88) als geeigneter Ausweg aus der damit entrinnbaren Falle in der deutschen Rechtsprechung etabliert.
 
 

 

BGH GRUR 2015, 365 "Zulassung neuer Angriffsmittel im Nichtigkeitsberufungsverfahren - Zwangsmischer"

1. Der Kläger, der im Patentnichtigkeitsverfahren geltend macht, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann nahegelegt gewesen sei, muss dartun, dass im Stand der Technik technische Lehren bekannt waren, aus denen der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens den Gegenstand der Erfindung entwickeln konnte. Er muss ferner diejenigen technischen und sonstigen tatsächlichen Gesichtspunkte darlegen, aus denen das Patentgericht die rechtliche Schlussfolgerung ziehen soll, dass der Fachmann Anlass hatte, den ihm nach seinem Fachwissen und -können objektiv möglichen Weg auch zu gehen.

2. Erachtet das Patentgericht das Streitpatent in der Fassung eines Hilfsantrags, den der Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung nach einem Hinweis des Gerichts gestellt hat, für rechtsbeständig, ist ein neues Angriffsmittel, das aus erstmals im zweiten Rechtszug eingeführten technischen Informationen einer Entgegenhaltung hergeleitet werden soll, zuzulassen, wenn für den Kläger aus dem patentgerichtlichen Hinweis nicht erkennbar war, dass das Patentgericht den Gegenstand des Hilfsantrags als (möglicherweise) patentfähig ansah.