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OLG Düsseldorf GRUR 2017, 1219 "Prozessuale Einbindung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands - Mobiles Kommunikationssystem"

1. Ein standardessenzielles Patent („SEP“) führt nur dann zu einer marktbeherrschenden Stellung, wenn es im Einzelfall geradezu eine Marktzutrittsvoraussetzung begründet.

Mit der bloßen Inhaberschaft von Patenten allein ist anerkanntermaßen noch keine marktbeherrschende Stellung verbunden. Erhält der Patentinhaber allerdings aufgrund hinzutretender Umstände die Möglichkeit, mittels seiner Monopolstellung wirksamen Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt zu verhindern, so liegt eine marktbeherrschende Stellung vor.

Auch ein SEP als solches begründet noch keine hinreichende Bedingung für eine Marktbeherrschung. Auf die Standardessenzialität allein kann nicht einmal eine (widerlegliche) Vermutung gestützt werden, dass der SEP-Inhaber wirksamen Wettbewerb gerade deshalb verhindern kann, weil das SEP aufgrund der Standardessenzialität benutzt werden muss, um mit dem Standard kompatible Produkte erzeugen zu können (a.a.O. Rdnr. 129) 

Es bedarf daher in Bezug auf jedes einzelne Patent der auf die Umstände des Einzelfalls abstellenden Beurteilung seiner wettbewerblichen Bedeutung für den nachgelagerten Produktmarkt.

Darlegungs- und beweisbelastet für die Voraussetzungen der Marktbeherrschung ist der Lizenzersuchende.

2. Die Lizenzbereitschaftserklärung des Benutzers eines standardessenziellen Patents kann bis zur Klageerhebung nachgeholt werden.

3. Die durch den Gerichtshof der Europäischen Union für standardessenzielle, unter AEUV Art. 102 fallende Patente vorgegebenen wechselbezüglichen Pflichten/Obliegenheiten gemäß der EuGH-Entscheidung „Huawei Technologies/ZTE“ sind grundsätzlich durch das Verletzungsgericht konsekutiv festzustellen. Der Patentverletzer hat nur dann in der ihm obliegenden Art und Weise zu reagieren, wenn zuvor der SEP-Inhaber seine Pflichten erfüllt hat.

4. Das Verletzungsgericht kann die Prüfung des Angebots des SEP-Inhaber nicht auf eine „negative Evidenzkontrolle“ beschränken, vielmehr muss es tatrichterlich feststellen, ob das Angebot den FRAND-Vorgaben entspricht.

(Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen und eingelegt)

Anmerkung: einen Überblick über die Rechtsprechung der Instanzgerichte nach der EuGH-Entscheidung „Huawei Technologies/ZTE“ geben Block, GRUR 2017, 121 sowie Kellenter / Verhauwen, GRUR 2018, 761.

EuGH GRUR 2015, 764 "Zur Lizenzierungspflicht bei standardessentiellen Patenten (SEP) - Huawei/ZTE"

1. Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Inhaber eines gemäß des Standards einer Standardisierungsorganisation geschaffenen standardessentiellen Patents (SEP), der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen, sogenannten FRAND-Bedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory), zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht im Sinne dieser Vorschrift missbraucht, wenn er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt,

wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat (Initiativpflicht des Patentinhabers) und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll,

und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu solchen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat

und ferner dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und insbesondere beinhaltet, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.

2. Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung, das Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents (SEP) ist und sich gegenüber der Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, zu FRAND-Bedingungen Lizenzen für dieses Patent zu erteilen, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verbietet, gegen den angeblichen Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben.

Dies kann dem Patentinhaber – zumindest nach deutschem Recht - ggf. die Möglichkeit eröffnen vor oder während der Verhandlungen mit dem Verletzer eine Verletzungsklage zu erheben, um zunächst nur Ansprüche auf Rechnungs­legung und die Feststellung der Haftung für aus der Vergangenheit resultierendem Schadensersatz geltend zu machen. Eine solche Klage könnte später erweitert werden, indem Ansprüche auf Unterlassung und weitere korrigierende Maßnahmen geltend gemacht werden

3. Insgesamt bedeutet dies für den Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP), dass zwischen dem Patentbesitzer und dem (angeblichen) Verletzer eine wechselseitige vom Patentbesitzer zu startende Kommunikation stattfinden muss, bevor ein Unterlassungsanspruch und/oder Korrekturmaßnahmen wie z. B. ein Rückruf bei Gericht geltend gemacht werden kann.

4. Unberührt bleibt die Rechtsprechung des Bundesgerichshofs (insb. BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard), soweit sie sich nicht auf standardessentielle Patente (SEP) bezieht, sondern auf Patente, die einen "De-Facto-Industriestandard" betreffen.

Hier bleibt ein Vorgehen des Patentinhabers gegen einen mutmaßlichen Verletzer nur dann missbräuchlich, wenn der Beklagte, also der mutmaßliche Verletzer, nicht nur ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht hatte (Initiativpflicht des möglichen Verletzers), sondern auch gewissermaßen im Vorgriff auf eine Einigung die aus diesem noch abzuschließenden Lizenzvertrag resultierenden Verpflichtungen erfüllte und insbesondere die Lizenzgebühren gemäß seinem Angebot zahlte oder hinterlegte.

Seit der Veröffentlichung der Entscheidung „Huawei/ZTE“ des EuGH vom 16. Juli 2015 erfolgten eine Reihe grundlegender sowie korrigierender Entscheidungen von deutschen Patentstreitkammern und -senaten in Mannheim, Karlsruhe und Düsseldorf (vgl. hierzu im Einzelnen: Block, GRUR 2017, 121 -  18 Monate nach EuGH „Huawei/ZTE“:  Die Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte).

Exkurs zur Thematik "Unbedingtes Angebot des möglichen Verletzers":

Gemäß OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, GRUR 2012, 736 - GPRS-Zwangslizenz II) war dem Patentinhaber ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen, falls der mögliche Verletzer einen Nichtigkeitsangriff startet (siehe auch Heusch, GRUR 2014, 745, 747 - Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) durch Patentinhaber: "Orange-Book-Standard" und was die Instanzgerichte daraus gemacht haben).

Nun untersagt die 2014 novellierte Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietranfer-Vereinbarungen TT-GVO 336/2014 die Einräumung eines derartigen Sonderkündigungsrechts für Nichtexlusivlizenzen (siehe hierzu auch Besen et al, GRUR 2014, 740, 742 - Die neue TT-GVO - Überblick über wesentliche praxisrelevante Änderungen).

Da dem Patentinhaber somit ein Verteidigungsmittel gegen einen möglichen Nichtigkeitsangriff untersagt ist, darf konsequenterweise ein unbedingtes Angebot gemäß BGH "Orange-Book-Standard" vom möglichen Verletzer nicht mehr unter der Bedingung der Feststellung der Wirksamkeit (also "Nicht-Nichtigkeit") abgegeben werden (so auch Körber "Die EuGH-Entscheidung Huawei/ZTE" - Vortrag GRUR Bezirksgruppe Bayern vom 15.12.2015 - Skript Seite 8).